Kapitel 2: Vorsicht, Kolbenfresser!
Dunkel ist es, verdammt dunkel. Ein Gewitter tobt in der Nacht. Nur ab und zu, wenn ein Blitz zuckt, kann ich etwas erkennen. Wie, frage ich mich verzweifelt, soll ich es bei diesem Seegang in die Rettungsinsel schaffen? Das orangefarbene Ding hüpft vor mir auf den Wellen. Zwei Meter sind die Brecher hoch, vielleicht auch etwas höher. Die Gischt schlägt gegen das Cockpit, ich hänge in der Tür, die schon halb unter Wasser ist, und arbeite mich Stück für Stück heraus. Mir ist schummerig, im Magen habe ich ein flaues Gefühl. Dann springe ich ins Wasser, schwimme rüber zur Rettungsinsel. Ich bin drin!
So ist es also, wenn man mit einem Flugzeug im Meer notwassern muss. Ein beängstigendes Gefühl. Zum Glück ist das hier nur ein Training. Fünf Monate vor dem Start unserer Weltreise übe ich im Maritimen Trainingszentrum Wesermarsch in Elsfleth, eine halbe Autostunde nordwestlich von Bremen, wie ich nach einer Notlandung im Meer überleben kann.
Die Vorhänge der Halle in Elsfleth sind zugezogen, die Rotoren der Windmaschine erzeugen einen heftigen Sturm, die Wellenmaschine wühlt das Wasser in dem fünf Meter tiefen Trainingsbecken auf. Die Blitze werden von einer Stroboskop-Anlage erzeugt, wie ich sie aus dem P1 in München kenne, dem bekanntesten Club der Stadt, wo ich in meinen wilden Jahren mal als Türsteher gearbeitet habe.
Natürlich kann ich in Elsfleth nicht alles üben. Wie wir im Ernstfall mit unserem Flugzeug auf dem Wasser landen? Das müssen wir irgendwie hinbekommen: sanft auf den Wellen aufsetzen, Fahrwerk drinnen lassen – und beten, dass alles gut geht.
Es ist Mitte März. Die Zeit der Vorbereitung hat begonnen. Bisher allerdings haben wir nicht einmal ein Flugzeug. Unser Vorhaben fühlt sich ein wenig irreal an, obwohl wir bereits im August starten wollen. Dann plötzlich, es ist noch im März, schickt Wolf mir eine Mail. Aufgeregt schreibt er vom Kauf eines Flugzeugs: »Ich habe es gekauft. Wow. Was habe ich gemacht?!?!« Wochenlang hat er sich informiert, welches gebrauchte Kleinflugzeug für uns das Beste wäre, hat sich umgeschaut, anfangs in Deutschland, später in den USA. Nach Minnesota und Florida ist er gereist und hat die Mooney schließlich in Borne in Texas ausfindig gemacht.
Texas – das ist sein Heimatstaat. Wolf wurde in Dallas geboren, er ist Deutsch-Amerikaner, hat einen amerikanischen Pass. Sein Vater stammt, so wie ich, aus München und ist vor 50 Jahren in die USA ausgewandert. Wolfs Mutter wurde in den Niederlanden geboren, auch sie hat vor Jahrzehnten Europa verlassen. Allerdings besitzen seine Eltern nach wie vor eine Wohnung im Lehel, einem hübschen Münchner Stadtviertel, wo sie regelmäßig zu Besuch sind.
Auch Wolf hat es im Jahr 2000 nach Deutschland gezogen. In München hat er als Guide bei einem Unternehmen gearbeitet, das Sightseeing-Touren mit dem Fahrrad anbietet. Vier Jahre später hat er sich mit der gleichen Idee selbstständig gemacht und in Berlin, direkt am Alexanderplatz, ein eigenes Unternehmen für Fahrradtouren gegründet. Vor allem Rucksacktouristen aus aller Welt, Amerikaner, Australier, Briten, Israelis, Neuseeländer, sind Kunden von »Fat Tire Bike Tours«. Mittlerweile gibt es Ableger in Barcelona, London und Paris. Ein Geschäft wie gemacht für Wolf, den Vielreisenden, der sich auf der ganzen Welt zu Hause fühlt.
In seiner Mail schreibt Wolf, die Mooney sei »ein sehr schönes Flugzeug für unsere Reise«. Ich selbst bin bisher meist mit einer Cessna 182 RG geflogen, die ich mir regelmäßig auf einem kleinen Flugplatz in Jeesenwang ausleihe, was eine halbe Autostunde westlich von München liegt. Die Cessna ist ein Traktor der Lüfte: Sie ist gutmütig und verzeiht auch gröbere Fehler.
Doch selbst wenn wir Zusatztanks einbauen würden, könnte eine Cessna mit Kolbenmotor höchstens acht oder neun Stunden ohne Pause fliegen. Uns stehen aber weitaus längere Flüge bevor – oder Strecken mit mehreren Etappen, auf denen es für uns keine Möglichkeit geben wird, das Flugzeug zu betanken. Also entscheidet sich Wolf für die Mooney. Die ist schneller, spritziger, und mit ihr können wir auch deutlich höher fliegen als mit einer Cessna, bis auf 24000 Fuß, also auf umgerechnet 8000 Meter. Allerdings ist die Mooney auch wesentlich sensibler. »Maggie«, wie Wolf sie nennt, erwartet, dass man liebevoll und fürsorglich mit ihr umgeht. Sie ist eine echte Dame.
»Maggie«, die Mooney – das ist eine Alliteration ohne tieferen Sinn, aber mit einem schönen Klang. Der Name stammt von Caroline, die Wolf nach dem Flugzeugkauf noch in San Francisco besucht hat.
»Maggie«, die Mooney – sie soll uns um die Welt tragen. Wolf und mich. 80 Tage werden wir unterwegs sein. Diese Zahl hat sich bei uns eher zufällig ergeben, aber es war, als wir die Dauer unserer Reise ein paar Wochen vor dem Start erstmals überschlugen, ein schöner Zufall. 80 Tage – so lange war auch Phileas Fogg unterwegs, der britische Gentleman aus dem berühmten Roman von Jules Vernes. In meiner Jugend habe ich das Buch »In 80 Tagen um die Welt« regelrecht verschlungen. In den Wochen vor unserer Erdumrundung denke ich immer wieder daran. Fogg ist damals ohne jede Vorbereitung aufgebrochen. Er hat sich einfach auf den Weg gemacht. Mit den Mitgliedern seines Londoner Herren-Clubs hatte er um 20000 Pfund Sterling gewettet, dass er in 80 Tagen die Welt umrunden werde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das ein schier unglaubliches Vorhaben. Das Flugzeug war noch nicht erfunden, das Auto auch nicht; es gab nur Schiffe, Kutschen und die Eisenbahn. Seine Reise führte über den Suezkanal, Bombay, Kalkutta, Hongkong nach Japan, weiter über den Pazifik nach San Francisco, danach nach New York und von dort nach Irland und zurück nach London. Nach seiner Rückkehr dachte Fogg zunächst, dass er seine Wette um wenige Minuten verloren habe. Doch dann stellte er fest, dass er unterwegs einen Tag gewonnen hatte, weil er die Datumsgrenze in östlicher Richtung überquert hatte.
Wir dagegen reisen westwärts.
Und das bedeutet, dass wir meist gegen den Wind fliegen müssen, ein Nachteil. Westwärts: Das bedeutet aber auch, dass wir Zeit gewinnen, weil wir der untergehenden Sonne entgegenfliegen, ein Vorteil. Auf den Flügen, die durch mehrere Zeitzonen führen, können wir ein, zwei Stunden länger in der Luft bleiben, ehe uns die Dunkelheit zur Landung zwingt.
Aber wird das gut gehen? Werde ich mit Wolf klarkommen? Und er mit mir? Wir haben zwar den gleichen Traum, den wir beide mit der gleichen Zähigkeit, mit dem gleichen Elan verfolgen, aber wir sind noch nie miteinander geflogen, haben niemals länger Zeit miteinander verbracht. Kennengelernt habe ich Wolf erst vor wenigen Monaten, bei einem Pilotentreffen im September 2012 im hessischen Egelsbach. Angestoßen durch einen Aufruf in der Fachzeitschrift »Pilot und Flugzeug« kamen damals rund 80 Piloten zusammen, die sich alle mit dem Gedanken trugen, um die Welt zu fliegen, und sich anhören wollten, was es an Vorbereitungen und Voraussetzungen bedarf, um eine solche Reise anzutreten. Die meisten entschieden sich am Ende dagegen.
Wie es der Zufall wollte, waren Wolf und ich die beiden Ersten, die damals am Flughafen Egelsbach ankamen. Ich stand ein wenig unruhig vor den noch verschlossenen Türen des Flughafen-Restaurants und wusste nicht, was mich in Egelsbach erwarten würde. Die Erdumrundung war für mich zu diesem Zeitpunkt nur ein vager Traum, von dem ich nicht wusste, wie ich ihn realisieren sollte. Ich hatte kein geeignetes Flugzeug, keinen Partner, nur diese fixe Idee im Kopf. Und dann stand plötzlich Wolf neben mir, und während des gemeinsamen Wartens merkten wir schnell, dass uns vieles verband: die Lust zum Abenteuer, die Liebe zum Fliegen – und auch die Liebe zu Autos. Wolf hatte auf dem Parkplatz gesehen, dass ich mit einem Mercedes SL nach Egelsbach gekommen war. Genau denselben Wagen fährt er in den USA. Nach dem Wirbelsturm Kathrina, der im August 2005 die Gegend um New Orleans zu weiten Teilen unter Wasser gesetzt hatte, war Wolf in den Besitz des völlig beschädigten Wagens gekommen. Sein Bruder, ein Hobby-Automechaniker, hatte den Mercedes anschließend restauriert.
In Egelsbach saßen Wolf und ich später an einem Tisch, redeten viel miteinander, fanden gleich einen Draht zueinander, und als ich erklärte, dass ich jemanden suchte, der mit mir um die Welt fliegen würde, sagte Wolf, er sei der richtige Mann. Und ich hatte das Gefühl: Ja, das ist er. Der richtige Partner für die Erdumrundung. Ein Flugzeug hatte ich noch immer nicht, aber Wolf sagte, er werde eines für uns finden, er wolle sich ohnehin eine Maschine kaufen. Ich war vollkommen perplex. Aus meinem großen Lebenstraum, dem Flug um die Erde, war plötzlich ein gemeinsamer Lebenstraum geworden: der Traum von Wolf und mir.
Aber manchmal trifft man ja Menschen im Leben, mit denen man sich sofort perfekt versteht – und bei Wolf und mir stimmte von Anfang an einfach alles. Jeder von uns war froh über die Stärken des anderen. Ich wusste: Wolf ist der erfahrenere Pilot, mit viel mehr Flugstunden. Ohne einen so erfahrenen Partner wäre ich – mit meinen gerade mal 250 Flugstunden – das Risiko dieser Reise niemals eingegangen. Wolfs Englisch ist – da er nun einmal in den Staaten aufgewachsen ist – viel besser als meines, weshalb er auch als Funker besser geeignet ist als ich. All das Knistern und Rauschen zwischen den oftmals nur schwer verständlichen Ansagen der Flugsicherheit macht ihm überhaupt nichts. Ich dagegen verstehe mich darauf, noch in der aussichtslosesten Situation jemanden aufzutreiben, der uns hilft. Ich knüpfe schnell Kontakte. Und lasse mich auch dann nicht unterkriegen, wenn ich irgendwo abgewiesen werde. Ein perfektes Team also, das sich bestens ergänzt.
Doch so gut wir zueinander passen, so sehr müssen wir uns auf unserem ersten gemeinsamen Flug, der Überführung von »Maggie« nach Deutschland, zunächst aneinander gewöhnen. Zwei Monate vor dem Start unserer Erdumrundung holen wir das Flugzeug in den USA ab. Per Linie fliege ich nach New York und fahre dann nach Farmingdale auf Long Island, eine gute Autostunde östlich von New York, wo die amerikanische Luftfahrtbehörde eines ihrer Büros betreibt. Von Deutschland aus habe ich mir einen Termin geben lassen, um meinen Flugschein für die USA umschreiben zu lassen – andernfalls dürfte ich »Maggie« in den USA nicht steuern. Auch ein paar Flugstunden zur Einweisung in eine Mooney musste ich in Deutschland nehmen.
In Farmingdale treffe ich Wolf. Ich bin ein wenig aufgeregt. Wie wird es wohl sein, mit Wolf zu fliegen? Wie wird es sein, mit ihm stundenlang in einer engen Kanzel zu hocken und gemeinsam über den Atlantik zu fliegen? Wolf kommt mit »Maggie« aus der Nähe von Washington angeflogen, wo er seine Schwester besucht hat. Die Überführung von »Maggie« nach Deutschland ist für uns beide nun die Gelegenheit, uns vor dem Start der Weltreise noch etwas besser kennenzulernen. Doch als ich das erste Mal das Steuer von »Maggie« übernehme, wirkt Wolf ein wenig nervös – schließlich ist es seine Maschine. Er hat sie bezahlt.
Und erst recht wird Wolf unruhig, als ich in Westfield Barnes im Bundesstaat Maine eine hundsmiserable Landung hinlege. Das wiederum macht mich nervös, weshalb mir nach dem Flug über Kanada, Grönland, Island und Schottland die Landung in Berlin-Schönefeld nicht viel besser gelingt: »Maggie« berührt den Boden, springt in die Luft, berührt mit den Reifen wieder die Landebahn, springt nochmals in die Luft, ehe ich sie endgültig aufsetzen kann. Mich ärgern diese beiden Patzer. Und ich weiß: Wenn ich vor Wolf als Pilot bestehen will (und wir gemeinsam unsere Weltreise ohne größere Spannungen hinbekommen wollen), muss ich besser werden, sicherer, ich werde pfleglicher mit »Maggie« umgehen müssen.
Als mich Wolf etwa drei Wochen später anruft, höre ich einen vorwurfsvollen Ton in seiner Stimme: »Der Propeller ist kaputt.« Offenbar haben die Propellerspitzen bei einer der Landungen den Boden berührt und einen Schlag abbekommen. Zwei, drei Zentimeter des Metalls sind abgeschabt worden, der Propeller hat sich zudem verzogen. Natürlich liegt der Verdacht nahe, dass ich den Schaden verursacht habe – bei meiner holprigen Landung in Berlin. Ich mache mir Vorwürfe, denn das Malheur gefährdet nun unsere gesamte Reise, es gefährdet auch mein Verhältnis zu Wolf. Aber es hilft nichts: Wir müssen den Propeller austauschen und zudem den Motor überprüfen lassen. Denn wenn der Propeller einen Schlag bekommt, kann das auch die Kurbelwelle beschädigen.
Als wir uns ein paar Tage später die Fotos anschauen, die wir nach meiner miesen Landung in Berlin aufgenommen haben, zeigt sich allerdings, dass der Propeller da noch heil war. Der Schaden muss also später entstanden sein. Nur wann? Vielleicht als Wolf die Maschine nach Straubing geflogen hat. Vielleicht auch auf andere Weise. Keine drei Wochen vor dem Start unserer Erdumrundung interessiert uns allerdings nur eines: dass »Maggie« so schnell wie möglich repariert wird.
Also fahre ich mit meinem alten VW-Bus von Pullach am südlichen Stadtrand von München, wo ich wohne, eine Stunde raus nach Straubing, wo »Maggie« steht, packe den Motor, den die Techniker dort ausgebaut haben, in den Laderaum und fahre zurück. Denn in einem Ort südlich von Pullach, in Baierbrunn, gibt es einen Mann, der uns aus der Patsche helfen kann: Heinz Dachsel, Eigentümer von »Flugmotoren Dachsel«.
Dachsel ist ein Bayer, wie er im Buche steht: gemütlich und gelassen, mit breiten Schultern und kräftigen Armen, mit buschigen Augenbrauen und einem schwarzen Wuschelkopf. Nichts, rein gar nichts bringt den 72-Jährigen aus der Ruhe. Er redet gemächlich, mit einem oberbayerischen Idiom, das unter seinem breiten Schnauzer hervorklingt. Seit über 20 Jahren betreibt er einen Reparaturbetrieb für Flugmotoren – und was für einen!
Dachsel und seine Mechaniker reparieren ausschließlich Kolbenmotoren. Die Kunden kommen aus aller Welt, da niemand sonst in Europa einen Prüfstand besitzt, auf dem auch große Kolbenmotoren problemlos getestet werden können. Die meisten Motoren, die zu »Flugmotoren Dachsel« gebracht werden, sind viele Jahrzehnte alt, manche mehr als 70 oder 80 Jahre. Den Prüfstand haben sich die Mechaniker in Baierbrunn vor einigen Jahrzehnten selbst gebaut: In einer riesigen Halle steht der Turm eines U-Boots aus den 1930er-Jahren, und an diesen werden die großen Kolbenmotoren mit ihren bis zu vier Meter langen Propellern dann anmontiert, um sie nach der Reparatur viele Stunden lang zur Probe laufen zu lassen.
Fast 100 Mitarbeiter, zehnmal so viele wie heute, waren früher in der Werkstatt tätig und haben Zehntausende von Motoren repariert. Dann wurden die Kolbenmotoren nach und nach ausgemustert: bei der Bundeswehr ebenso wie in den Sportflugzeugen. Schnelle Turboprop-Maschinen kamen in Mode. Wir mit unserer Mooney gehören zu den Sonderlingen, die immer noch mit diesem altmodischen Motorentyp fliegen.
Aber Dachsel erweist sich noch aus einem anderen Grund als der richtige Mann. Vor vielen Jahren hat er selbst einmal versucht, die Welt in einem Flugzeug zu umrunden: in einer JU-52. Mit seiner »Tante Ju«, hergestellt in den 1930er-Jahren, ist er von München aus ostwärts geflogen. Leider war für ihn damals in Pakistan Schluss, da es unmöglich war, eine Genehmigung für den Weiterflug über Russland zu bekommen.
Schon ein paar Tage befindet sich unser Motor in Baierbrunn, als Dachsel mich anruft. »Kommen Sie mal her!«, sagt er knapp. Seine Stimme verheißt nichts Gutes. Ich setze mich sofort in mein Auto, fahre von Pullach nach Baierbrunn und stehe keine 20 Minuten später in der Werkhalle. »Schauen Sie sich bitte den Kolben an«, sagt Dachsel.
Vor mir liegt der Traum unserer Weltreise: fein säuberlich in einige Hundert Einzelteile zerlegt, ausgebreitet auf einem großen Servierwagen mit drei Ebenen. Die Techniker haben unseren Motor komplett auseinandergenommen. Ich muss nicht lange schauen, das Problem ist offensichtlich. Der fünfte Kolben in dem sechszylindrigen Motor ist kaputt, die Reibung im Zylinder hat ganze Teile der Außenwand weggefressen. Auch die andern fünf Kolben sind in einem desolaten Zustand.
»Ihr wärt damit wahrscheinlich nicht einmal über den Atlantik gekommen«, sagt Dachsel.
Puh! Nicht einmal über den Atlantik. Das heißt, wir hätten wohl recht bald nach dem Start einen kompletten Kolbenfresser gekriegt: Die Kolben hätten im Zylinder festgesessen, der Motor wäre zum Stillstand gekommen.
In diesem Moment habe ich alles wieder vor Augen. Die Notwasserung. Die Rettungsinsel. Den Ernstfall, den ich nie erleben will. Aber kurz darauf denke ich: Was für ein Glück im Unglück! Denn ohne den kaputten Propeller stünde ich jetzt nicht in der Werkstatt. Ohne den sichtbaren Schaden hätten wir den unsichtbaren Schaden an den Kolben niemals bemerkt. Wir wären mit einem Motor losgeflogen, der irgendwann seinen Geist aufgegeben hätte. Vielleicht mitten über dem Atlantik.
Dann denke ich an unseren Zeitplan. An den Abflugtermin in zwei Wochen. Ist der Motor bis dahin repariert? Kann Dachsel die notwendigen Ersatzteile so schnell beschaffen und alles wieder zusammenbauen? Oder müssen wir unsere Reise absagen? Denn in einigen Ländern wie Myanmar oder Indien haben wir uns vorher Visa besorgen müssen, und die sind zeitlich begrenzt; falls wir später losfliegen, wäre unser Zeitplan nicht mehr zu halten.
Ähnlich wäre es in Papua-Neuguinea. Um dort landen zu dürfen, habe ich immer wieder mit der Botschaft des Landes in Brüssel telefoniert. Habe meinen Pass samt Bargeld für die Visumgebühren dorthin geschickt, ohne ihn zurückzubekommen. Man teilte mir schließlich mit, ich müsse erst eine Landegenehmigung der Luftfahrtbehörde in Papua-Neuguinea herbeischaffen. Also habe ich mehrmals mit der Behörde in Port Moresby telefoniert, der Hauptstadt von Papua-Neuguinea, was schwierig war, weil meist niemand an den Apparat ging. Ich habe der freundlichen Dame, die ich nach allerlei Versuchen erreicht habe, dann den Antrag für eine Landegenehmigung gemailt, und zwar an ihre private Mailadresse, weil das Internet in der papua-neuguineischen Luftfahrtbehörde nicht so gut funktioniert. Den genehmigten Antrag habe ich dann nach Brüssel geschickt. Und von dort habe ich nach vielen Wochen dann mein Visum zurückerhalten.
Und das soll alles umsonst gewesen sein?
»Arbeiten Sie so schnell wie möglich!«, sage ich zu Heinz Dachsel. »Wir dürfen auf keinen Fall das Abflugdatum verpassen!«
»Wir schaffen das«, verspricht er.
Unsere gesamte Reise liegt nun in seinen Händen.